Schattenseiten Elke Antwerpen Januar 1, 2022

Schattenseiten

Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung gab vor, »lieber ganz als gut sein« zu wollen. Damit meinte er die ewigen Anstrengungen, jene Seiten und Gefühle in uns zu verstecken, die uns weniger perfekt und liebenswert erscheinen lassen. Da sie mit Angst und Scham verknüpft sind, werden sie in die Dunkelheit des Vergessens abgedrängt. 

Im Keller unserer Persönlichkeit finden sich zahlreiche Anteile, die wir am liebsten für immer Wegsperren oder ganz verleugnen würden. Da sind unsere kleinen Macken wie der Hang zur Rechthaberei oder Sturheit. Sie gesellen sich zu den wirklich fiesen »Kellerkindern« – beispielsweise dem Egoismus, der Eitelkeit oder der Rachgier.

Wir Menschen unterscheiden in gute und schlechte Eigenschaften. Wir denken, um gemocht zu werden, müssen wir die schlechten Seiten ablegen, ähnlich wie wir uns unserer Schwächen beseitigen müssen, um erfolgreich zu sein. Doch wenn wir davon ausgehen, dass Schwächen überzogene Stärken sind, dann handelt es sich bei unseren Schattenseiten auch nur um Eigenschaften, die etwas zu laut und überdreht daher kommen. Anstatt sie zu verdammen, sollten wir mit ihnen Frieden schließen. Es hat etwas Entlastendes, nicht mehr nach außen vorgeben müssen, jemand zu sein, der wir nicht sind. Wir müssen auch nicht beweisen, gut genug zu sein. Es ist ein Leben ohne Angst vor Entlarvung, Ablehnung und quälender Selbstvorwürfe.  

Das ist keine Aufforderung, sich gehen zu lassen und zu benehmen wie es einem in den Sinn kommt. Es ist ein Aufruf, sich selbst mit all seinen Facetten zu akzeptieren. Unsere dunklen Seiten sind nämlich nur dann schädlich, wenn sie verdrängt werden, weil sie drohen, an einer Stelle und in einer Intensität herauszubrechen, die völlig unangemessen erscheint. Indem wir verkrampft versuchen, unsere »Hässlichkeit« zu verstecken, verliert unsere Schönheit an Strahlkraft. Wenn wir unsere Angst verdrängen, schwächen wir den Mut. »Integration« dieser ungeliebten Anteile ist die Zauberformel, die uns freier, gelassener und zufriedener macht. Ganz sein bedeutet, unsere schlechten Seiten anzunehmen, um die beste Version unserer Selbst sein zu können. 

Autorin: Elke Antwerpen