Ursprünglich war mein Schrittzähler als Motivationshilfe gedacht. Als ich mir vor zwei Jahren eine Fitnessuhr mit dem Vorsatz zulegte, mich regelmäßig zu bewegen, lautete das Ziel: 10.000 Schritte am Tag – auch wenn für die Gesundheit 7.500 gereicht hätten. So ist das nun mal mit ehemaligen Leistungssportlern – die Latte kann gar nicht hoch genug hängen, sonst macht es keinen Spaß. Am Ende wurden es sogar bis zu 30.000 Schritte. Egal bei welchem Wetter, ob ich müde von der Arbeit kam oder mich krank fühlte – ich marschierte und marschierte. Meist ging es die Promenade am Rhein entlang, aber ganz oft auch zu Besorgungen in die Stadt. So kamen im ersten Jahr über 4 Millionen Schritte zusammen, das sind umgerechnet etwa 2.500 Kilometer. Freunde bewunderten meine Disziplin, doch ich war immer noch nicht zufrieden.
Ende 2022 standen rund Eintausend Kilometer mehr auf dem »Tacho«. Die Bewegung an der frischen Luft ist nämlich nicht nur gut für den Stressabbau, sondern auch für die seelische Resilienz. Und da es im vergangenen Jahr jede Menge zu verarbeiten gab, war ich gefühlt permanent unterwegs. Im Grunde eine gute Sache, hätte ich nicht gemerkt, dass der freie Wille längst dem innerer Zwang gewichen war. Denn wer spätabends noch einmal loszieht, um die 10.000 Schritte voll zu machen, obwohl er die Füße viel lieber hochgelegt hätte, wer trotz entzündeter Sehnen sich keinerlei Pause gönnt, ist eindeutig drüber. Der Grat zwischen Disziplin und inneren Zwang ist manchmal sehr schmal.
Das soll kein Plädoyer gegen die Disziplin werden. Sie ist wichtig, weil sie hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden und Dinge in Angriff zunehmen bzw. durchzuziehen. Doch wenn man trotz guter Gründe auf sich selbst wütend ist, weil an dem Tag das Plansoll nicht erreicht wurde, dürfte das Maß an Selbstbeherrschung eindeutig überschritten sein. Seitdem ich das erkannt und den Schrittzähler zur Jahreswende aus meinem Leben verbannt habe, stellt sich bei mir ein Gefühl der Erleichterung ein. Statt exzessiv zu laufen, erlaube ich mir auch schon mal, etwas kürzer zu treten. Jetzt kann ich wieder laufen, wann ich will und nicht wann es mir meine Sportuhr vorschreibt.
Autorin: Elke Antwerpen