Führungskräfte sollen unterstützen statt trösten Elke Antwerpen November 5, 2023

Führungskräfte sollen unterstützen statt trösten

Auch wenn sich die wirklich großen Dramen meist im Privaten abspielen, sollten Chefs gewappnet sein, wenn Mitarbeiter plötzlich sehr emotional werden oder gar anfangen zu weinen. Nicht zu reagieren ist keine Option! Doch statt Trost steht die Unterstützung an erster Stelle.

Männer weinen häufig, wenn sie ihre persönliche Situation zusammenbrechen sehen. Frauen kommen eher die Tränen bei Konflikten im Team, wenn sie sich ungerecht behandelt oder überfordert fühlen. Für Führungskräfte stellt dies nicht nur eine schwierige Situation dar, sondern auch einen Balanceakt: Sie dürfen die Emotionen ihrer Angestellten weder ignorieren, noch zu nah an sich herankommen lassen. Übertriebenes Mitgefühl ist ebenso unangebracht wie harsche Kritik. Gerade männliche Mitarbeiter sind erfahrungsgemäß dankbar, wenn ihre »entgleiste« Emotionalität nicht zum Thema gemacht wird. Geht der Vorgesetzte aber überhaupt nicht darauf ein, gerät er schnell in den Ruf, eiskalt zu sein. Aber wie verhält man sich als Chef in solchen Situationen empathisch und gleichzeitig professionell?

Der erste Schritt ist die Diagnose

Anders als privat ist der erste Job einer Führungskraft die Diagnose. Denn je nach Ursache ist die weitere Vorgehensweise eine andere. Reichen Sie dem Mitarbeiter ein Taschentuch und warten Sie, bis er sich beruhigt hat. Dann klären Sie ab, ob es privat ein Problem gibt oder bei der Arbeit. Stellen Sie keineWarum-Fragen – die richten sich immer nur an die Vernunft. Bei hoher Emotionalität ist aber genau diese Hirnregion blockiert. Fragen Sie stattdessen, was passiert ist. Danach gilt: Mund halten und zuhören.

Liegt der Grund im Unternehmen, gehört es zu Ihren Aufgaben, nach den Ursachen zu forschen und Lösungen zu finden. Sie können Mitgefühl zeigen, wenn dem Mitarbeiter etwas Schlimmes widerfahren ist, aber nicht, wenn er seinen Job nicht gut macht. Nur weil er weint, können Sie nicht die Anforderungen an ihn senken. Wenn Sie in irgendeiner Form an der Gefühlsmisere beteiligt sind, weil sie ihn beispielsweise wegen seiner schlechten Performance abgemahnt haben, wirkt Mitgefühl ohnehin wenig glaubhaft. Die Hand, die schlägt, kann nicht gleichzeitig trösten.

Dem Betroffenen Schutz bieten

Bricht ein Mitarbeiter vor anderen in Tränen aus, zum Beispiel im Teammeeting, müssen Sie ihm Schutz bieten. Klären Sie, ob er vor den Kollegen darüber sprechen will. Falls nicht, fragen Sie ihn, was er jetzt braucht, und zeigen Sie verschiedene Optionen auf, wo und mit wem die Ursache dieses emotionalen Ausbruchs zu klären wäre. Die Maxime ist, im Team nur das zu besprechen, was das Team angeht. Persönliches und die eigene Arbeit Betreffendes ist besser im Einzelgespräch aufgehoben.

Seien Sie authentisch und ehrlich, sonst ist das Gespräch für beide Seiten unangenehm. Stellen Sie Fragen, wenn Sie etwas nicht nachvollziehen können, aber argumentieren Sie nicht. Traurig, enttäuscht oder verletzt zu sein ist ein Zustand. Ihr Job ist es, von einem Zustand wieder in einen Prozess zu kommen. Da müssen Sie als Chef lösungsorientiert handeln. Nicht aus einer Betroffenheit heraus, sondern mit Sachlichkeit.

Helfen Sie zu sortieren: Was klärt der Mitarbeiter privat, was im Team oder mit dem Vorgesetzten? Überlegen Sie beide zum Schluss, wie die nächsten Schritte aussehen. Eine kurze Auszeit nach dem Gespräch erlaubt es ihm, erst dann wieder auf Kollegen zu stoßen, wenn verräterische Spuren wie geschwollene, rote Augen verschwunden sind. Ist wegen eines Konflikts eine gemeinsame Aussprache mit einem anderen Mitarbeiter nötig, sollte dieser Termin erst am nächsten Tag angesetzt werden. Das gibt dem Betroffenen die Möglichkeit, sich zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen.

Bei privaten Gründen äußern Sie Ihre Anteilnahme

Gibt es private Gründe für den Gefühlsausbruch, sieht die Sache anders aus. Zeigen Sie sich verständnisvoll. Notfalls stellen Sie den Mitarbeiter für den Rest des Tages frei und schicken ihn nach Hause. Bei gesundheitlichen Problemen oder Schicksalsschlägen fragen Sie nach, womit Sie helfen können. Sie könnten beispielsweise anbieten, Aufgaben vorübergehend umzuverteilen, um ihn zu entlasten. Wenn keine praktische Unterstützung möglich ist, sollten Sie zumindest Ihre Anteilnahme äußern. Sagen Sie zum Beispiel: »Das tut mir sehr leid für Sie.« Oder wenn das Ereignis, z.B. eine Operation, noch bevorsteht: »Ich wünsche Ihnen für den bevorstehenden Eingriff alles Gute.«

Mit Körperkontakt sollten Sie hingegen vorsichtig sein. Zwar kann der in Krisensituationen beruhigend wirken, aber nur, wenn es situativ und im Zusammenhang mit der Beziehung angebracht ist. Das ist im beruflichen Kontext eher selten der Fall. Wenn überhaupt, berühren Sie kurz den Arm oder die Schulter des Mitarbeiters. Zwingen Sie weder sich noch den anderen zu etwas, das als unangenehm empfunden wird. Der Betroffene merkt das und bezieht das (unbewusste) Abwehrverhalten womöglich auf sich, was die ohnehin schon schwierige Situation verschärft. Bieten Sie stattdessen lieber Ihre Unterstützung an. Jemand, der schwere Zeiten durchlebt, wird es zu schätzen wissen, neben einer positiven Aufmerksamkeit auch praktische Hilfe zu erhalten.

Autorin: Elke Antwerpen