Bedrohung durch Stereotype Elke Antwerpen Oktober 9, 2023

Bedrohung durch Stereotype

Es wird viel über »Unconscious Bias« gesprochen, die uns alle betreffen. Einige Unternehmen haben es sich auf die Fahne geschrieben, den unbewussten Vorurteilen bei den Mitarbeitenden und vor allem auch Führungskräften entgegenzuwirken und Aufklärung zu betreiben. Meist liegt der Fokus auf der eigenen Voreingenommenheit. Aber wie wirkt sich die Angst auf uns und unsere Leistungsfähigkeit aus, selbst in einer Schublade gelandet zu sein?

Um die Welt begreifbarer zu machen, stecken wir Menschen in Kategorien und verallgemeinern ihr Verhalten. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Trick unseres Gehirns, um bei der Informationsverarbeitung Energie zu sparen. Wir vereinfachen Informationen, die uns im sozialen Miteinander begegnen. Wir teilen Menschen in Gruppen und rufen das Wissen ab, was wir über diese Gruppe haben.

Wenn uns beispielsweise jemand fragt, wie wir uns einen Informatiker vorstellen, würden wir ihn als einen sachlichen, schüchternen und introvertierten Menschen beschreiben, der am liebsten den ganzen Tag vor seinem Computer hockt und kaum zwischenmenschliche Kontakte pflegt. Da solche Stereotypen mit einer bestimmten Einstellung verbunden sind, kann dies zu verändertem Verhalten gegenüber dieser Person führen, auch wenn das Ergebnis unserer Gedanken oft wenig mit der Realität zu tun hat.

 

Drei Schritte bis zum Vorurteil

Der Weg von der Kategorisierung bis hin zum Vorurteil verläuft dabei in drei Schritten:

  1. Im Alter von etwa drei bis vier Jahren lernen Kinder Menschen einzuordnen. So sortieren sie beispielsweise nach Alter und Geschlecht oder unterscheiden einfach zwischen Kind und Erwachsenen. Ob das »Label« Ausländer, Homosexuell oder Behinderung dazu kommt, hängt vom sozialen Umfeld ab. Wenn Eltern oder Lehrer Einheimische und Ausländer sowie heterosexuelle und Homosexuelle gleich behandeln, wird das Kind auch keine solche Kategorie bilden.
  2. Erst im zweiten Schritt findet die Stereotypisierung statt. Kinder beginnen Menschen, die sie in bestimmte Kategorien geordnet haben, Merkmale zuzuschreiben. Beispielsweise: Mädchen sind lieb und kichern ständig. Jungs sind wild und weinen nicht. Weder die Kategorisierung, noch die Stereotypisierung sind bereits Vorurteile. Die kommen erst mit der Abwertung.
  3. Denn zwischen dem siebten und achten Lebensjahr lernen Kinder erst, wie sie durch das Zuschreiben negativer Merkmale andere Gruppen bewusst abwerten können. Dann sind alle Mädchen plötzlich Heulsusen oder alle Jungs Angeber. Die negativen Zuschreibungen dienen vor allem dazu, die eigene Gruppe aufzuwerten.

Aber auch als Erwachsene speichern wir Wissen in assoziativen Netzen ab. Die Informationen werden in Kategorien eingeordnet und miteinander verknüpft. Ausgehend von den Konzepten in unserem Kopf unterstellen wir anderen spezifische Eigenschaften oder Verhaltensweisen, nur weil sie einem bestimmten Geschlecht oder einer bestimmten Gruppe angehören.

 

Gefahren der mentalen Abkürzung

Welche Bedrohung in der mentalen Abkürzung unseres Gehirns steckt, scheint manchen gar nicht bewusst zu sein. Und da spreche ich ausnahmsweise mal nicht von der Diskriminierung an sich. Ich spreche von der Angst in uns, in einer solchen Schublade zu landen. Dann entsteht meist sogenannter »Mindfuck« in unseren Gedanken- und Gefühlsmustern, mit denen wir uns selbst blockieren.

Beispiel: Auf der Kirmes beobachtete ich eine Gruppe junger Leute, die vor der beliebten Jahrmarktsattraktion »Hau den Lukas« standen. Bei diesem Kräftevergleich geht es darum, mit einem 3,5 Kilogramm schweren Vorschlaghammer auf einen gefederten Knopf zu schlagen, sodass ein Metallkörper nach oben beschleunigt wird. Je höher die Schlagkraft, desto höher steigt dieser Körper. Erreicht er seinen höchsten Punkt, ertönt ein Klingelton.

Als eine der wenigen Frauen aus der Clique an der Reihe war, rief sie lachend in die Runde: »Ich zeige euch mal, was Mädchen so drauf haben.« Sie holte beidhändig zum Schwung aus, zögerte dann aber mitten im Schlag. Es war dieser eine entscheidende Moment der Unsicherheit, der sie regelrecht ausbremste. Mit der Befürchtung, dass alle Jungen davon ausgehen, sie sei nicht stark genug und deren sexistischen Vorurteile würden mit einem Fehlschlag nur bestätigt, war der Misserfolg vorprogrammiert. Denn Unsicherheit und Angst mindern die Leistungsfähigkeit. Und so kam es tatsächlich zu einem eher kläglichen Versuch.

 

Erkenntnis ist der erste Schritt

Wenn wir im Kopf haben, dass andere eine schlechte Leistung aufgrund von irgendwelchen Vorurteilen erwarten, kann uns dies verunsichern und die schlechte Leistung wird umso wahrscheinlicher. Ein Teufelskreis, der als Bedrohung durch Stereotypisierung bekannt ist. Es gibt aber durchaus Auswege.

👉🏼 Der Schlüssel, um sich selbst nicht mehr von generellen Verallgemeinerungen negativ ausbremsen zu lassen, ist Bewusstsein. Es ist elementar wichtig zu erkennen, welche Klischees einen auf welche Art und Weise beeinflussen oder emotional berühren. Am besten ist es, offen zu bleiben, ob sich die Vorurteile bestätigen und dann nach ihren Ursprüngen zu suchen. So können neue Perspektiven und eine tiefere Gespräche entstehen.

👉🏼 Egal wie tolerant, weltoffen und aufgeklärt jemand sein mag – vor  der Stereotypisierung ist niemand gefeit. Hier heißt das Zauberwort: Akzeptanz. Wir werden das kollektive Gedankengut nicht ändern, schon gar nicht, wenn wir allein schon an dem Versuch scheitern. Wenn wir uns nicht trauen, obwohl wir wollen. Lieber mal unerwartet »aus der Rolle fallen« als sich aus dem Takt bringen lassen. So wäre das Ergebnis für die jungen Frau auf der Kirmes bestimmt besser ausgefallen, wenn sie sich nicht selbst verrückt gemacht hätte.

👉🏼 Was hilft, ist immer ein Realitätscheck: Denkt mein Gegenüber wirklich so von mir? Und trifft das Vorurteil zu? Deckt sich meine Annahme mit meinen bisherigen Erfahrungen und Erinnerungen, oder welche Geschichte erzählt mir mein Kopf? Und welche drei harmlosen Alternativ-Szenarien gibt es, die das Verhalten meines Gegenübers erklären?

👉🏼 Was sich bei destruktiven Gedanken immer empfiehlt ist, die eigene Aufmerksamkeit auf das Körperempfinden zu richten. Also raus aus dem Kopf, rein in den Körper! Das funktioniert, weil wir nicht in der Lage sind, uns auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Wir können also nicht auf unsere Atmung achten und dabei einfach weiterdenken.

👉🏼 Last but not least ist ein gutes Selbstbewusstsein der beste Schutz vor inneren und äußeren Kritikern. Einem starken Selbstbewusstsein kann keine Voreingenommenheit etwas anhaben.

Autorin: Elke Antwerpen