Wenn ich in Coachings über Führungsstile spreche, kommt früher oder später die Frage: „Wie motiviere ich mein Team – Zuckerbrot oder Peitsche?“ Meine Antwort: Gar nicht. Denn beides funktioniert nur, wenn Menschen tun, was du willst, solange du sie belohnst oder bestrafst.
Echte Führung beginnt da, wo reine Steuerung aufhört – und Beziehung, Haltung und Vertrauen ins Spiel kommen. Natürlich braucht jede Organisation klare Rahmen, Strukturen, Orientierung. Steuerung im Sinne von Zielsetzung, Rollenklärung und Prioritäten ist absolut notwendig. Aber wenn Führung sich auf reine Steuerung reduziert – auf KPIs, Prozesse, Kontrollmechanismen – dann fehlt das Entscheidende: Beziehung und Vertrauen. „Steuerung“ im engeren Sinne zielt auf Verhalten. Führung im erweiterten Sinne zielt auf Haltung, Sinn und Beteiligung.
Die Peitsche: Kontrolle schafft Gehorsam, aber keine Loyalität
Erinnerst du dich an deinen ersten Vorgesetzten? Ich schon. Mein erster Chef war ein Paradebeispiel für autoritäre Führung. Lob? Fehlanzeige. Kontrolle? Rund um die Uhr. Null Raum für Diskussionen. Ergebnis? Ich war schneller im Kopf weg als in der Mittagspause.
Heute erlebe ich in Coachings immer noch Führungskräfte, die sich zwischen Zuckerbrot und Peitsche entscheiden – als gäbe es nur diese zwei Pole. Doch das ist keine Führung, das ist Dressur. Und Menschen sind keine Zirkuspferde.
Kontrolle mag kurzfristig funktionieren. Sie erzeugt Leistung, aber keine Loyalität. Kein Mitdenken. Keine echte Bindung.
Ein Beispiel: Ein mittelständischer Maschinenbauer in NRW litt unter hoher Fluktuation, trotz guter Bezahlung. Die Ursache war die herrschende Angstkultur. Nach einem Führungswechsel und einem offenen Dialogprozess veränderte sich das Klima. Verantwortung wurde geteilt, Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen – und plötzlich blieben nicht nur die Mitarbeitenden, sie brachten auch eigene Ideen ein.
Das Zuckerbrot: Lob und Goodies ersetzen keine Beziehung
Das andere Extrem wirkt sympathischer, kann aber genauso toxisch sein. Ich erinnere mich an ein Berliner Start-up, das auf Feel-Good-Leadership setzte: Benefits, Blumen, Bio-Kaffee – das volle Programm. Und es funktionierte – solange alles gut lief.
Doch in der ersten echten Krise wurde klar: Die „Wertschätzung“ war eine Einbahnstraße. Feedback war nur willkommen, wenn es positiv war. Kritik? Unerwünscht.
Mitarbeitende, die sich vorher in der Wohlfühlatmosphäre sicher fühlten, zogen sich zurück. Denn Lob, das an Bedingungen geknüpft ist, wird zur Währung. Und diese Währung kann erpressen: Wer gefallen will, stellt keine Fragen mehr.
Während ein allzu autoritärer Führungsstil schnell Widerstand und innere Kündigung provoziert, kann Zuckerbrot subtile Kontrolle sein – und gefährlich bequem. Denn was wie Fürsorge aussieht, kann in Wahrheit Anpassung belohnen und Eigenständigkeit ersticken.
Führung ist keine Dressur
In gesunder, moderner Führung geht es nicht um Belohnung oder Bestrafung – sondern um Beziehung, Verantwortung und gegenseitiges Vertrauen.
💡 Laut IW-Studie 2024 steigern Unternehmen mit beteiligungsorientierter Führung nachweislich Innovationskraft, Mitarbeiterbindung und Resilienz. Kein Incentive der Welt ersetzt echtes Vertrauen. Kein Lob der Welt kompensiert fehlende Aufrichtigkeit.
Führung ist Beziehungsarbeit – und die beginnt mit der Haltung, nicht mit der Taktik.
Lust, aus der Manege auszusteigen?
Dann hör auf, dein Team zu manipulieren – durch Lob, Lenkung oder taktisches Formen – nur damit sie funktionieren. Fang an, Menschen wirklich zu sehen. Denn Studien haben gezeigt, dass beide Ansätze nicht immer die gewünschten langfristigen Effekte erzielen. Zum Beispiel können Belohnungen die intrinsische Motivation untergraben, wenn sie als manipulativer Anreiz wahrgenommen werden.
Zudem kann ein Führungsstil, der stark auf Kontrolle und Bestrafung setzt, zu einem Arbeitsumfeld führen, in dem Mitarbeitende eingeschüchtert sind und versuchen, Fehler zu verbergen, anstatt offen damit umzugehen.
Ein moderner Führungsansatz betont daher die Bedeutung von Vertrauen, Autonomie und echter Wertschätzung, um die intrinsische Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden zu fördern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass während Belohnung und Bestrafung kurzfristig Verhaltensänderungen bewirken können, nachhaltige Motivation und Engagement eher durch einen Führungsstil erreicht werden, der auf Vertrauen, Autonomie und echte Wertschätzung setzt.
Mein Tipp: Frag dich nicht, wie du steuerst. Frag dich, wie du führst:
🔺 Schaffe ich Raum für echte Gespräche, auch wenn sie unbequem sind?
🔺 Habe ich den Mut, Kontrolle abzugeben, ohne mich überflüssig zu fühlen?
🔺 Bin ich bereit, Widerspruch auszuhalten und trotzdem zuzuhören?
🔺 Gebe ich meinem Team Orientierung oder nur Anweisungen?
🔺 Spreche ich über Ziele oder auch über Sinn?
🔺 Lobe ich aus echter Wertschätzung, oder weil ich ein Verhalten verstärken will?
Denn “Zuckerbrot oder Peitsche?” ist die falsche Frage. Die richtige lautet: Willst du Verhalten steuern oder Entwicklung ermöglichen?
Autorin: Elke Antwerpen